Montag, 20. März 2017

Vom Glück und vom Leid

Also, so gesehen geht es mir eigentlich grade irgendwie nicht so super.
Das liegt an einem Faktor, der neu ist: ich habe Männerschnupfen. Übernommen von Herzblatt. Und so ein Männerschnupfen ist nicht nett. Vor allem, wenn man ihn am Mittwoch übernimmt, am Donnerstag beruflich loszieht und am Samstag so richtig männerschnupfig wieder Zuhause eintrifft. Nä?

Und ich liege jetzt im Bett, eine nette Wärmflasche im Rücken und verrotzt mit einer Stimme wie ein olles Reibeisen und mache mir Gedanken über Glück und das Leiden.


Leiden ist so eine Sache, von uns Menschen mit MS und von anderen Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen wird ja immer von einer leidenden Gruppe gesprochen. Also andere, meist gesunde Menschen, reden von uns und unterstellen uns, dass wir leiden. Ganz pauschal. Wieso auch immer. Wir leiden. Immer. Und ab und an frage ich mich, ob es für andere einfacher ist, uns als Leidende darzustellen als klar zu sagen: Sie hat MS und sie lebt damit. Oder: Er lebt mit MS.

Ich  mein, woher wissen die, dass wir  leiden? Woher nehmen diese Menschen das Wissen, die Grundlage oder die Quellen um dies so einfach zu behaupten? Es gibt drei Gruppen, die ich für mich identifizieren konnte, die gerne darüber philosophieren. Also, über das Leiden.

Die Schreibenden und Berichtenden 

Das sind erst mal die Menschen von der Presse. Die lassen einen gerne leiden. Ist ja auch gut, wenn jemand leidet. Wegen der Lesequote und weil Leiden anzieht. Isso.

Die, die mit uns zu tun haben und uns irgendwie in Projekte verwickeln wollen ...

Dann sind da Menschen, die mit uns zu tun haben. In welcher Weise auch immer, auch sie reden gerne als Leidende von uns. Sie leidet an MS. Oft liest sich das Leiden dann in Social Media und anderen Medien oder Websites. Als letztens jemand ankam, das Blog hier lobte und meinte, ich wäre trotz des Umstands, dass ich unter MS leide, ja so tapfer, überlegte ich, wie man Strahlkotzen durch das Netz transportiert kriegt. Echt jetzt. Kennt mich nicht und unterstellt mir Leiden.

Die, die uns nahe sind ... und MS irgendwie nicht rund gedacht bekommen... 

Die dritte Gruppe ist eine, die schwierig ist. Es geht um Menschen, die uns nicht selten nahe stehen. Sie lassen sich hinreißen, sind emotional. Was einerseits verständlich ist. Oft genug sind sie irgendwie in unser Leben involviert, oder glauben, dass es sind und es sind oft solche, die nicht verstehen, dass man  mit MS schon auch leben kann.
Sie sehen einen leiden. Ob das so ist oder nicht, ist nicht die Frage. Bei mir waren es Menschen, die nicht sehen konnten, dass man selbst mit MS weiterlebt. weil man trotz MS glücklich sein kann. Aber ich denke nicht schwarz und weiß, sondern bunt.

Diese Gruppe, so ging es mir damals, erwartete, dass ich mich leidend zurückzog und die Musterpatientin gab. Und gebe. Bis heute. Sittsam, leise leidend und fügsam in das Schicksal ergeben mit MS sämtliches Mitleid über mich ergehen lasse. Ohne Widerspruch. Vasteht sich. Trullatechnisch wäre das natürlich vollkommen in Ordnung und das Fräulein wäre mehr als entzückt, würde ich das so tun. Sie würde sich glatt ein extra Likörchen gönnen und das Spitzenkrägelchen mit einer Portion Wäschestärke noch einmal stärken.

Und ich? Ich komme jetzt zurück auf den Männerschnupfen und das Glück. Ich bin glücklich und habe Spaß. Trotz dieser dicken Rotznase und der schrägen Stimme.

Philosophiere ich weiter, muss ich fragen: Was ist Glück überhaupt? Wie definiert man das? Für mich ist Glück nicht abhängig von MS. Um es gleich zu sagen.



Schaut man nach Dänemark, kann mann  nachlesen, dass die Dänen sehr glückliche Menschen sind. Sie sind hygge, also alles das, was gemütlich ist und mehr. Sie genießen geselliges Zusammensein, kuscheln und mehr. Und sind glücklich. Ich lese auch gerade das Happiness Project von Gretchen Rubin. Sie untersucht, was glücklich macht und stellt auch fest, dass Glück mehr ist. Ein guter Ton in der Familie, Rituale, Dinge, die Spaß machen, zufrieden werden lassen, sie merkt auch an, dass eine gewisse Ordnung im Haus glücklich macht. Ausmisten also. Glück ist auch, wenn man Spaß im Leben hat, was ich für Menschen mit MS besonders empfehle. Spaß schenkt Lächeln.

Für mich persönlich kann ich sagen, ich bin ein glücklicher und zufriedener Mensch. Ich lebe (!!!!) mit MS und bin dennoch happy. Und zufrieden.

Das liegt für mich auch mit daran, dass ich mich mit MS sehr intensiv auseinander gesetzt habe. Sprich, lernte, fragte, zuhörte und Wissen sammelte, um mich vernünftig damit zu arrangieren. Als mich letzte Woche jemand fragte, ob ich nicht zuviel über MS weiß, musste ich nicken. Ja, weiß ich. Ich lese Forschungsberichte, höre mir Präsentationen von Neurologen an und arbeite mit ihnen zusammen. Das heißt, ich kenne die fiesen Seiten der MS ziemlich gut und dennoch empfinde ich das nicht als Nachteil. Ich habe gelernt, mich auch ein Stück weit abzugrenzen, was mich persönlich betrifft. Auf der anderen Seite: Mein Wissen hilft mir, ich weiß mir zu helfen. Und das beruhigt mich ungemein.

Ich habe mir aber auch mein Leben eingerichtet wie eine neue Wohnung. Nach der Diagnose und ich renoviere immer wieder. Weil es wichtig ist, fortzuschreiten. Platt gesagt: Die Welt dreht sich auch weiter. Die bleibt nicht stehen, weil man MS hat. Ganz im Gegenteil und Stillstand tut in dem Fall nicht gut. Es wäre Stillstand gewesen, wäre ich zur gewünschten Musterpatientin mutiert, was zur Folge hätte, dass ich jetzt wahrscheinlich die Welt ziemlich schwarz sähe und chronisch verbiestert und verbittert die Welt kommentieren würde.

Ich habe irgendwann begonnen, mich um mich zu kümmern und auch Dinge aus meinem Leben zu entlassen, die mir nicht gut getan haben. Das habe ich auch mit Menschen gemacht. Viele sind darunter, die mich nur leidend sahen. Und sehen. Ist halt einfacher als jemand zu sehen, der Spaß hat und glücklich ist.

Glück ist vielfältig und ich glaube, es ist für jeden etwas anderes. Wichtig dafür ist es aber in meinen Augen, zufrieden zu sein. Vielleicht weil jemand da ist, den man fragen kann, weil jemand Suppe kocht, wenn man Männerschnupfen hat oder dem man eine Email schicken kann, wenn man etwas braucht. Es ist aber auch die warme Wohnung oder ein gemütliches Bett, in dem man sich gerne aufhält, es kann ein Stück Schokolade sein, oder wenn dir jemand etwas Gutes tut, Zeit für dich aufbringt.

Jetzt, mit der Wärmflasche im Rücken, in meinem gemütlichen Bett, eingekuschelt mit dem Notebook und rotzend bin ich glücklich. Ich bin zufrieden, bekam ein warmes Essen, heißen Tee und weiß, dass alles soweit gut ist.

Und oft reicht das doch, um einfach für den Moment glücklich zu sein.

Und all denen, die einem immer pauschal das große "Leiden" in die Schuhe schieben, ohne einen zu kennen oder sich jemals mit der Erkrankung befasst zu haben, rate ich, bevor wir wegen Euch leiden, redet mit uns und fragt. Aber lasst das Pauschalisieren, das verletzt und sortiert uns alle, die wir mit chronischen Erkrankungen durchs Leben gehen, in fiese Schubladen, die keiner braucht. Nämlich die, in die wir nicht passen und die uns an den gesellschaftlichen Rand schubsen. Und das will hier keiner. Ok?

Und der Rest: Was macht Euch glücklich?

Liebe Grüße
Birgit



Text: Birgit Bauer
Bilder: Pixabay.com 




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