Freitag, 21. April 2017

Der kleine Unterschied .... Zwischen Fatigue und Frühjahrsmüdigkeit ....

Die letzten Tage waren echt nicht einfach.

Ich wankte wie besoffen zwischen einigen lichten Momenten und totaler Erschöpfung hin und her. Dazu gesellten sich ein bisschen Depression, Schlaflosigkeit und noch so einige Freunde aus Fräulein Trullas Bande.



Alles in allem sehr erschöpfend und sie sind die Energievampire in meinem Leben, die mir den Spaß ab und an verleiden und mich dazu bringen, das Leben für einen Moment echt beschissen zu finden.
Das Blöde an der Situation ist: Du musst meistens weitermachen, weil die Erde sich weiter dreht, weil du Verpflichtungen hast, nen Job oder auch sonst irgendwas, was getan werden muss.

In Tagen wie diesen überlebt man, man funktioniert, aber leben? Ist anders.
Das Ganze führt dazu, dass ich mich in solchen Phasen echt selbst nicht mag. Ich schau mich am Morgen im Spiegel an und denk mir "Ich kenn dich nicht, aber ich wasch dich trotzdem". Das Ergebnis ist sauber, ja, aber halt nur das. Aufhübschen? Forget it.

Die Nebenwirkungen sind totale Lustlosigkeit, Sorge, Stress weil man in so nem Loch sitzt und nicht rauskommt. Der ewige Kampf gegen die Erschöpfung, im Fachjargon als Fatigue bezeichnet,
erschöpft und macht mürbe. Für einen Moment gibt es in solchen Phasen nur eine Richtung: Abwärts.



Was mich langsam wieder aus dem Loch befördert? Mein Arzt, der Naturheilkundler, ein allgemeiner Arzt mit Spezialisierung, der mir jetzt Infusionen verpasst hat. Um einmal meinem ausgelutschen Körper (3 gemein fiese Erkältungen und ein Schub in drei Monaten = persönlicher Rekord) mit einigen Aufbauinfusionen, die speziell auf mich abgestimmt sind, ein bisschen anzuschubsen und ihm wieder aufzuhelfen und mit Verständnis.

Also latsche ich im Moment noch zu von mir bestimmten Zeitpunkten zu ihm und lass mir so einen Beutel in den Körper laufen. Hilft auch, wenngleich langsam.

Warum ich davon erzähle? Weil es mich verdammt noch mal echt nervt, wenn ich dann einen Satz höre: "Ach das ist nur Frühjahrsmüdigkeit, das hab ich auch!"

Echt? Sitzt du auf dem Sofa, unfähig aufzustehen und starrst Löcher in die Luft unfähig nur den kleinen Finger anzuheben? Bist du so müde, dass du nicht schlafen kannst obwohl du müde bist und erschöpft und ausgelaugt? Zu müde um selbst darauf wütend zu werden? Zu müde, um etwas zu tun? Dagegen oder dafür?
Fühlt sich dein Körper aus so an, als hätte man ihn einmal komplett in Bleigürtel gewickelt? Fällt dir der Gang aufs Klo auch manchmal so schwer, dass du echt überlegst, wann du losziehst? Wenn du jemanden brauchst, weil du dich nicht konzentrieren kannst? Dinge verwechselst und dich hinterher über den Scheiß wunderst, den du verbrochen hast? Weißt du wie es sich anfühlt, wenn du die Welt hasst obwohl du keinen Grund dafür hast, aber nicht mehr anders kannst, weil im Erschöpfungsnebel kein Platz mehr für irgendwas ist?
Bist du auch einfach nur zu müde, um aus dem Bett zu kommen oder gleich nach dem Aufstehen so müde, dass du eigentlich schon wieder zurück kriechen möchtest?
Ist dir die Welt einfach ab und an auch zu anstrengend und so Kraft raubend, dass dir das kleinste Geräusch weh tut, dass ein einfaches Danke nicht mehr möglich ist, weil du inmitten grauer Wolken steckst und den Ausgang nicht findest? Weißt du wie es ist, wenn Kleinigkeiten zum Kraftakt werden? Weißt du wie es ist, wenn du wirklich gerne möchtest und nicht kannst, weil du nicht die Kraft hast, deinen kleinen Körper in Bewegung zu bringen und deshalb etwas nicht machst, ablehnst und dafür dumm angemacht wirst und Verständnislosigkeit erntest?

"Fatigue ist die größte Scheiße", so A. eine andere Frau mit MS. Sie hasst, wie ich auch, dieses Gefühl. "Ich könnte gerade jeden mit einem blöden Spruch erschießen!"

Und Fatigue meine Lieben da draußen, ist keine Frühjahrsmüdigkeit. 

Fatigue kostet Kraft, Energie, Stimmung. Fatigue ist dunkel, bedrohlich und die schwarze Wolke, die einem durchs Leben zieht, wenn man MS hat. Sie kommt und geht und manchmal schwächer und dann schlägt sie wieder zu.

Die meisten Menschen mit MS kämpfen mit Fatigue. Sie geht weit über die Erschöpfungssymptomatik hinaus. Sie lähmt.

Und das Schlimmste: Fatigue ist eines der Symptome der Multiplen Sklerose, die man nicht sieht.

Fatigue ist unsichtbar. Und doch: Sie behindert. 

Tricky weil: Man sieht ja normal aus, schleppt sich halt ein bisschen durchs Leben, oder mehr und sagt man dann, dass man nicht gut drauf ist, glaubt es keiner. Es ist eine Barriere, die keiner sieht. Denken andere an Barrieren, denken sie an Rampen, Türschwellen und Aufzüge. Ich denke bei Barriere an "Raus aus dem Nebel".

Für mich eines der schlimmsten Symptome überhaupt. Weil sie neben der körperlichen und seelischen Auswirkungen auf mich auch noch blöde Sprüche bringt. Als Dreingabe.

Wie "Ach so ein bisschen Frühjahrsmüdigkeit.... " "Du schaffst das, jetzt komm schon ...." "Mach doch ein Mittagsschläfchen" Ja. Ist Dornröschen von selbst wieder aufgewacht? Vom Nickerchen? Nö. Würde ich auch nicht. Deshalb beschränke ich mich auf  das Funktionieren. Und fühle mich unverstanden und ehrlich gesagt, nicht unterstützt. Und ja, ich gebe zu, das sind dann die Momente, die auch bei mir einen Hauch Selbstmitleid ins Badewasser tröpfeln.

Man will ja. Aber man kann nicht. Und das Wohlmeinende hilft nicht, es bewirkt eher das Gegenteil. Es zieht runter.

Das ist Fatigue.

Fatigue behindert.

Und das musste hier mal raus. Ungeschönt und offen und rauh und deutlich und so wie es eben ist.

Oder um A. zu zitieren und dem stimme ich vollstens zu: 

"Ich möchte nicht jammern, bin dankbar für mein Leben und die Menschen, die mich unterstützen, aber ich möchte nie wieder den Zusammenhang mit dem Erschöpfungssyndrom Fatigue und
Frühjahrsmüdigkeit hören!!!! Es ist ne Verharmlosung sondergleichen und macht Betroffene einfach wütend!"

In diesem Sinne! 

Birgit 


Etwas Wissen:

  • Fatigue ist ein unsichtbares Symptom der MS.
  • Die meisten Menschen mit MS kämpfen damit, eine konkrete Zahl konnte ich so auf Anhieb nicht finden, die Angaben reichen von ca. 70% bis 90% der MS Betroffenen, die Fatigue haben.
  • Dagegen helfen können zum einen Sport und gute Ernährung. (Bis zu einem bestimmten Punkt klappt das bei mir auch, aber manchmal ist sie stärker.)
  • Auch ein gut organisierter Tagesplan mit Pausen kann helfen. Etwas, was bei mir der Fall ist, ab und an wundern sich Menschen über meine Planung, aber was hilfts? Funktioniert sonst sehr gut. Hilf im Moment aber nur sehr bedingt. 
  • Es gibt auch medikamentöse Lösungen. Sie sind aber durchaus mit Ärzten zu diskutieren. 
  • Fatigue ist nicht nur bei MS Thema, sondern auch bei vielen anderen Erkrankungen wie zum Beispiel bei Krebs. 
  • Fatigue kann man auch bekommen, wenn man z. B. überhitzt, nach einem heißen Bad also oder nach dem Sport, deshalb gilt bei MS hier ein bisschen aufpassen. Diese Fatigue ist dann aber gut zu handeln. Besser als das, was wirklich überfallartig kommt und einen einnimmt.
  • Fatigue ist auch eine einzelne Erkrankung, die richtig schlimm ist, man nennt das dann: Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome. Hierbei handelt es sich um eine schwere neuroimmunologische Erkrankung und wird ebenso wie MS noch erforscht, weil man sich in vielen Fragen nicht sicher ist. Falls es Euch interessiert: https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/?pk_campaign=Aw-illness&pk_kwd=WhatIsCFS 
  • Googelt man Fatigue als einzelnes Wort, erscheint die Erkrankung meist erst einmal im Zusammenhang mit Krebs. Erst ein Suchlauf "Fatigue und MS" zeigt klarere Links mit besseren Erklärungen.

Text: Birgit Bauer
Bilder: Pixabay.com 






3 Kommentare:

  1. Hallo Frau Bauer.Da sitz ich nun,nach einer furchtbar schlaflosen Nacht, am PC und nicke bei jedem Wort von Ihnen. Vergleichbar mit einem Wackeldackel. JEDES Wort spricht mir aus der Seele. Seit einigen Tagen kämpfe ich auch gegen diese u n e n d l i c h e Müdigkeit. Ich fühle mich ausgeliefert. Vor ein paar Wochen hab ich mir auch noch den Oberarm gebrochen. Jede Aktivität (und ich habe "bloß" einen Krankengymnastiktermin) wird zur absoluten Anstrengung. Auch wenn ich jetzt "Pipi" in den Augen habe: Danke für die klaren Worte.

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    1. Liebe Elisabeth, vielen Dank für Ihren Kommentar. Es tut mir leid, dass Sie wegen mir zum Wackeldackel mutieren mussten und Pipi in den Augen haben. Da ich von Phrasen grad echt die Nase voll habe: Ich drücke Sie ganz fest aus der Ferne, wünschen Ihnen für Ihren Arm wirklich schnellste Besserung und auch, dass die Fatigue nachlässt. Bleiben Sie einfach hier wenn Sie möchten und lassen Sie uns gemeinsam da durchlaufen. Mit den anderen, die auch mit diesem Mist kämpfen. Alles Liebe! Birgit

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  2. Ich kann noch einen weiteren Unterschied vermelden... Fatigue und Fatigue mit Immunsuppression.

    Fast ein Jahr nach meiner Diagnose haben mich die Ärzte im Krankenhaus dann doch zu einer Eskalationstherapie überredet. Ich frag mich grad immer noch wie sie das gemacht haben, war ich doch gleich von Anfang an davon überzeugt, dass ich das Ganze ohne Medikation durchziehn werde und möchte.
    Jedenfalls hab ich dann jetzt doch die letzten fünf Monate jeden Tag brav meine Pille geschluckt und die Nebenwirkungen kamen ganz schleichend. Mir ging's nicht wirklich schlecht aber halt auch nicht gut.
    Dachte das wäre halt die MS. Ich war ständig müd, ständig war mir kalt (auch wenn das Thermostat klar anzeigte dass mir eigentlich nicht kalt sein dürfte), Dauer-Hustenreiz, immer wieder stechende Kopfschmerzen, Wunden und blaue Flecken verheilten so gut wie gar nicht mehr ...

    Dann bin ich ganz zufällig auf Sven Böttcher und seine Geschichte gestoßen (kennst du sicher!) und hab vor einer Woche von heut auf morgen aufgehört die Pille zu schlucken. Und siehe da... schon drei vier Tage später hab ich merklich gespürt wie sich ALLES schlagartig verbessert hat bzw verschwunden is.

    Und dazu gehörte auch diese unglaubliche Müdigkeit. Fatigue hatte ich schon vor der Therapie, aber absolut nicht in dem Ausmaß und auch nicht über Wochen bzw Monate jeden Tag. Endlich kann ich beim Zug fahren wieder LESEN!!! Das ging schon seit sicher drei Monaten nicht mehr, ich hatte immer Mühe nicht komplett wegzupennen.

    Also, bevor ich hier zu ausschweifend werd und vom Thema abkomm ... Fatigue an sich is schon ziemlich bescheiden, für mich war's unter der Medikation einfach nur mehr schrecklich und definitiv dauerhaft einschränkend. Und an dieser Form von Behinderung hatte meine MS an sich momentan noch gar keine Schuld getragen.


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