Donnerstag, 10. August 2017

MS als "Verkaufsargument" und warum ich Fräulein Trulla nicht teile ...

Wenn man mit einer chronischen Erkrankung lebt, die nicht heilbar ist, so wie MS zum Beispiel, erlebt man viele Dinge, die ab und an schon recht seltsam anmuten.

Man trifft auf Menschen, die denken, man hätte ganz etwas anderes, bekommt es mit Vorurteilen zu tun, ab und an mit dummen Sprüchen und derlei.

Und dann trifft man auf die, die meinen, nur weil man diese Erkrankung hat, ist man für alles empfänglich, was man unter dem Stichwort "Heilung" oder bestes Produkt ever verbuchen könnte.

Für diese Menschen scheint man so verzweifelt zu sein, dass man quasi nach jedem sprichwörtlichem Strohhalm greifen würde.


Es ist so, es gibt die Anbieter, die ein ehrliches Interesse daran haben, dass man deren Produkte wie z. B. Kühlwesten oder Küchendinge, die eben für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung entwickelt sind, testet. Ihnen ist wichtig zu wissen, ob das, was sie produzieren dem entspricht, was der Konsument vom Produkt erwartet. Diese Anfragen sind freundlich, sachlich und erklären die Fakten. Das weiß ich zu schätzen.

Allerdings gibt es auch diejenigen, die meine MS als Argument dafür nutzen wollen, dass ich etwas mache. Seltsame oder wenig aussagekräftige Produkte teste, Veröffentliche (gerne werden mir dann auch schon ganze Texte übermittelt) oder auch gerne für lau mal eben mehrseitige Konzepte prüfe oder das Produkt gleich zum Supervorteilsspitzenpreis zum Test erwerbe.


Das Argument ist, ich brauche das. Weil ich doch unter MS leide. Ich arme Frau ich. Man unterstellt mir, ich leide. Man spricht von Hoffnung und vollmundig von Heilung und Erleichterung. Je nach Produkt. Das Drama nimmt dann seinen Lauf und mancher Text liest sich so, als wäre meine Zeit längst abgelaufen.  Und als Kirsche auf der Torte präsentiert man mir dann Studien, die mir beweisen sollen, wie arm ich ohne das Produkt wäre. Ja klar. Alles was so glänzend und shiny daher kommt und sich als Studie bezeichnet, glaub ich auch sofort. Vertrauensselig wie ich so bin. ;-) Nä?

Die Auswahl ist groß. Es gibt  fragwürdige Gehhilfen, Wundertränke und Supertropfen, es gibt etwas zur Beruhigung und für den Fall, dass ich möchte auch noch viele andere teure Kleinigkeiten zum Superspitzenpreis, die mir quasi das Überleben sichern. Und ach ja, weil ich doch in der Community bin und sicher auch in Facebookgruppen abhänge (wenn es mir neben all dem Leid gut geht ;-) ) könnte ich doch gleich noch dafür sorgen, dass das Produkt unter die Menschheit, nein, die Leidenden kommt. Am besten gleich mit Verkaufserfolg. Wo ich doch als MS Patientin so nen guten Draht zur Zielgruppe habe und als kostenfreie Verkäuferin doch prima wäre. Abgesehen davon, dass man mich damit zur Spokesperson eines Produktes macht und mir damit ein Stück Neutralität raubt, ist das nur unverschämt.

So gesehen also eine gute Taktik. Mit dem traurigen Schicksal anderer zu spielen und dieses Schicksal dafür zu nutzen, denen, die krank sind, mit ein bisschen Hopsasa und Tralala gemischt mit falschen Versprechen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Nicht wahr. Und diese "armen" Menschen dann noch als Vertriebsstruktur zu nutzen, ist schon ein geniales Vorhaben.

Und doch, es ist ein erfolgreiches Spiel. Kranke Menschen sind oft empfänglich für so etwas. Sie wollen ja Besserung und Heilung. Klammern sich nicht selten an jedes Fitzelchen, das Hoffnung verheißen könnte. Oft genug sehen sie diese schmierigen Offerten auch als letzten Ausweg und sind in Emotionen verstrickt, die den gesunden Menschenverstand quasi ins Stand-By verschieben. Verstehe ich. Leben mit einer Erkrankung, egal welcher, ist eine Herausforderung und kann einen schon mal an den Rand der Verzweiflung treiben. Und doch: Es ist das miese Geschäft mit der Hoffnung ist es, das mich richtig ärgert.

Als mir in den letzten Tagen wieder ein solcher Verkäufer schrieb: "Du hast ja MS, das ist schlimm und ich kann dir helfen!" drückte mein Finger unweigerlich und ohne zu zögern auf Löschen.

Ich weiß, dass ich MS habe, danke.
Ich lebe seit mehr als 12 Jahren damit. Ob das schlimm ist, kann nur ich beurteilen, denn ich habe die MS und mein Fräulein Trulla teile ich nicht, zumal sie, so wie ich ohnehin eine ganz individuelle Sache ist.

Deshalb: 

Nehmt also Eure Wundermittel und zieht weiter. Solange ihr keine besseren Argumente habt als diese eine Feststellung und glänzend shiny und glossy aufgemachte Studien, die ich Euch sowieso im Leben nicht abnehme und solange Ihr meine MS als Euer Verkaufsargument nutzt, habt Ihr hier keine Chance. Und hört auf, die zu plündern, die so verzweifelt sind, dass sie Euch ihren letzten Euro geben, nur um einen Moment hoffen zu können und am Ende noch verzweifelter zu sein.

Echt jetzt!

Birgit


Bilder: pixabay.com
Text: Birgit Bauer 




1 Kommentar:

  1. Liebe Birgit, so wahre Worte!!! Da könnte man sich um Kopf und Kragen diskutieren!.....Von den explodierenden Kosten für - ich nenne es mal: - Nahrungsergänzungsmitteln, sobald erste positive Studien zu lesen sind mal ganz zu schweigen! Was wir nicht ändern können ist die Pharmaindustrie und die oftmals leider rein finanziellen Hintergründe. Das einzige was wir tun können ist das nicht mehr mit uns machen zu lassen - und NEIN zu sagen! ...Und doch stirbt die Hoffnung wohl zuletzt...Liebe Grüße! Schönes WE! Erhol dich gut! Nicole

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